Von Dili nach Hata Bulico

Ich habe mal wieder ein Motorrad. Dank an die Kollegen von World Vision. Da ich es mit leerem Tank in Empfang nehme, ist der erste Stop die Tankstelle. Ich fahre dort ein, werde gefragt, wieviel ich denn möchte? Natürlich sage ich „voll, bitte“.

Daraufhin bricht die Kollegin der Frau, die mich bedient, in schallendes Gelächter aus. Mein weniges Tetum reicht aus, um zu interpretieren, was sie sagt, nämlich in etwa „Bist du dumm? Das ist ein Malae! Malaes wollen immer den Tank voll!“

Tja.

Alle nicht-Timoresen sind übrigens Malae. Ganz egal ob sie aus Malaysia (ich vermute das Wort kommt daher?) oder eben aus Deutschland kommen… Und wenn du mit dem Moped im Hinterland herumfährst wird das aufgeregte Geschrei von Kindern immer größer, je kleiner die Siedlung ist. “Malae! Malae! Malae!” tönt es aus vielerlei Kinderstimme und alle kommen sie angerannt um den weißen Mann auf dem Motorrad anzugucken.

Jetzt wo ich das Rad habe, kann ich auch Pläne fassen. Dieses Wochenende nicht nach Atauro. Dummerweise ist es in den Bergen extrem staubig und ich habe nicht wirklich passende Klamotten eingepackt.

Zum Glück gibt es aber gerade ums Eck von meiner Unterkunft, entlang eines Kanals, einige Läden in denen (vermutlich australische) Kleiderspenden verkauft werden. Ich zahle Malae-Preis für eine Hose, die mir immerhin am Bund passt und eine Jacke, die über keinerlei Atmungsaktiviät verfügt. Aber besser so, als meine guten Klamotten komplett zustauben zu lassen.

Ich habe beschlossen, nach Maubisse zu fahren, 25 Minuten hinter Aileu. Da ist  aber alles ausgebucht, wegen einer Festlichkeit. Also wird mir geraten, doch einfach bis Hata Buliko zu fahren, und auf den höchsten Berg des Landes zu wandern. Ramelau ist fast 3000m hoch und es soll dort arschkalt sein. Aber immerhin habe ich jetzt eine Jacke, in der ich garantiert schwitzen werde.

Ich hänge mal wieder im Hostel ab, dort ist unter anderem ein Deutscher, der seit 18 Monaten mit dem Motorrad durch Asien unterwegs ist, und eine Österreicherin, die gerade von Ramelau zurückgekommen ist, und mir freundlicherweise ihre Stirnlampe leiht. Dankeschön!

Am nächsten Morgen geht es dann los. Ich creme mich ordentlich gegen die Sonne ein, denn losfahren will ich erstmal mit T-Shirt. Mal sehen, wie das so mit den Staubwolken ist. Und tatsächlich komme ich, viele Kurven und ein bisschen Motocross später, auch an der gut ausgebauten Hauptstraße in den Bergen an.

Von dort aus geht es über ein, zwei Pässe weiter. Mal ist das Land eher grün, dann wieder von ödem Gestrüpp beherrscht. Ich vermute, das war nicht immer so, aber warum genau das Land so karg aussieht, vermag ich nicht zu sagen.

Eine knappe Stunde später bin ich in Maubisse. Wo erwartungsgemäß die Hölle los ist. Stellt sich raus, dass ein Mitglied des Parlaments heiratet, was auch erklärt, warum ich von einer mit der Polizei eskortierten Limousine überholt wurde. Auf die Pousada soll ich, wurde mir gesagt. Und tatsächlich, die Aussicht ist wunderschön.

Weniger schön ist der Preis. 15 Dollar für fünf lauwarme und furztrockene Hühnchenstücke, dazu Reis, Pommes, ein bisschen Gemüse und Salat. Immerhin treffe ich beim Essen drei Timoresinnen, die allesamt einen eher gehobenen Eindruck machen und sich auch nur auf Englisch miteinander unterhalten. Zwei sind zur Hochzeit eingeladen und verbringen eine längere Zeit mit Schminken und umziehen, die dritte kommt hier aus der Gegend und hat die Gelegenheit genutzt, ihre Familie zu besuchen und Chauffeurin für die anderen zu spielen.

Von Maubisse geht es dann weiter durchs Tal und auf der anderen Seite auf einen Gipfel. Um wirklich hochzukommen, muss man quasi Querfeldein, aber die Aussicht lohnt sich allemal.

Nebenan ist eine kleine Kapelle, traditionell Timoresisch erbaut.

Und daneben ein Friedhof.

Ich treffe auf eine alte Frau, die sich bereitwillig porträtieren lässt,

bevor ich noch ein bisschen herum laufe, ein paar Pferde scheu mache

und noch ein paar Minuten sitzenbleibe. Es könnte fast Schottland hier sein, auf 2000 Metern über dem Meeresspiegel, wenn nicht die Palmen wären…

Von der Hauptstraße aus geht es dann in die Pampa. Schotterpiste wäre zu viel gesagt, es gibt hier mehr Schlaglöcher als Straße und die Straße ist im Prinzip eine Anhäufung von Faustgroßen Steinen die nebeneinander platziert und festgetreten wurden. Etwa 500m auf dem Weg begegne ich einem Französischen Pärchen, die ebenfalls nach Hata Bulico wollen. Allerdings zu Fuß oder so. Ich denke mir “das wird schon” und fahre weiter. Als ich in der ersten Ansammlung von Häusern nach meiner Unterkunft frage und erst der dritte Mensch weiß, was ich meine, denke ich mir noch nichts. Beim dritten mal wundere ich mich schon. Insgesamt 18 Kilometer, über eine Stunde bin ich dann unterwegs, und ernsthaft besorgt ob der beiden “Mitreisenden”.

Ich komme an, checke im Gasthaus ein, was tatsächlich relativ westliche Standards hat. Dann begebe ich mich auf die Suche nach einem Geschäft, das mir Wasser verkauft. Orientierunslos stapfe ich durch die Gegend und werde von einem Mädchen namens Chang angesprochen. Sie spricht verhältnismäßig gut Englisch und will ein Selfie mit mir. Dann bietet sie mir an, den Weg zum Kiosk zu zeigen. Ob ich ihr dafür einen Dollar gebe? Möchte ich eigentlich nicht, was wenig mit Geiz zu tun hat, aber als wir dann von Kiosk zu Kiosk ziehen (und keiner Wasser verkauft), schenke ich ihr neben einer Packung Kekse auch noch ein paar Dollar Telefonguthaben. Sie ist aufgeweckt, klug. Spricht besser Englisch als die Macker-Jungs, denen wir begegnen. Als ich ihr erzähle, dass ich Computer programmiere (stimmt zwar nicht ganz, aber meinen Job zu erklären halte ich für noch unmöglicher) kriegt sie leuchtende Augen. “Oh das will ich auch! Wir haben hier einen netten Australier der uns Sachen am Computer beibringt!”. Wir unterhalten uns über dies und das, steigen über einen Bach und laufen über einen Feld. Die Kioske haben kein Wasser. “We have to go to China!”.

Was sie meint, ist der Chinesenladen. In Timor werden die größeren Stores immer von Chinesen betrieben. Auch in Hata Bulico. Der verkauft haufenweise Plastikkrempel und immerhin auch Wasserflaschen. Chang erzählt mir, wie gerne sie mehr Englisch lernen würde, aber hier im Dorf geht das nicht. Klar war sie schonmal in Dili, sie fährt da öfter hin, um Gemüse zu verkaufen. In Dili würde sie auch gerne studieren. Aber das ist so teuer. Und ausserdem muss sie auf ihre zwei kleinen Geschwister aufpassen. (Sie ist die zehnte von 12 Kindern) und ihre Nichten. Und die Eltern, die Wohnen in Ermera, ein Distrikt weiter, ganz weit weg. Ob sie einen Boyfriend hat? Nein, erstmal Schule fertig machen. Das bedeutet: Danach dann Hochzeit, Kinderkriegen, vermutlich Hausfrau werden für einen deutlich weniger aufgeweckten oder interessierten Ehemann. Wenn sie Glück hat, dann gehört sie nicht zur überwiegenden Mehrheit der Frauen in Timor-Leste die physische oder sexuelle Gewalt erfahren. Mehr kann sie vom Leben nicht erwarten.

Es bricht mir das Herz. Aber individuelle Fälle lösen, das werde ich nicht können.

Die Franzosen sind übrigens in ihrem Guesthouse angekommen. Auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks, neben einem Schwein und einer Ziege. Ich gehe dann zurück ins Hotel, esse noch zu zu Abend und gehe früh schlafen. Denn am nächsten Morgen muss ich um 3 Uhr aufstehen, um rechtzeitig zum Sonnenaufgang auf dem Berg zu sein.

Nein, halt. Eine Sache mach ich dann doch noch. Schließlich befinde ich mich so sehr im Nirgendwo, dass andere Nirgendwos neidisch wären. Also gehe ich hinaus, einen Feldweg (nagut, die Hauptstraße) entlang und lege meine Kamera auf den Boden. Mit 30 Sekunden Belichtungszeit sieht der Himmel dann so aus.

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