Cerro Kennedy (oder: Wie ich fast einen schönen Sonnenaufgang sah)

Seine Grenzen zu kennen ist das eine. Sie wirklich zu kennen das andere.

Die Sierra Nevada de Santa Marta ist eine Gebirgskette direkt hinter der Hafenstadt Santa Marta im Norden Kolumbiens. Hier gibt es Gipfel bis 5700 Meter und allerhand Dschungel. Angeblich eine der besten Wanderungen Südamerikas, viele Vögel und dementsprechend auch einen Nationalpark.

An dessen Rand das Dorf Minca, das früher wohl als Geheimtipp galt, jetzt aber zu 100% vom Tourismus lebt. Da am Rand ein neu eröffnetes Hostel mit Pool und geiler Aussicht und gutem Essen und „Eröffnungspreisen“, sprich erstmal alle anlocken, geile Reviews kassieren und dann die Preise anziehen.

Hier kann man wandern. (Ich nicht dank Metallplatte im Bein). Oder sich mit motorisiertem Gefährt auf den Gipfel bringen lassen (boring). Oder eben Radfahren. Mountainbikes lassen sich im Dorf mieten und man bekommt einen Helm, Handschuhe, Luftpumpe und einen Wechselschlauch dazu. Für alle Fälle. Zu Fuß sind es auf den Gipfel etwa neun Stunden, mit dem Rad sollen es vier bis fünf sein. Das mach‘ ich. Oben gibt’s ein Hostel und der Sonnenaufgang ist berühmt. Also auf zum Cerro Kennedy!

Ich starte kurz vor 9, gebe Gas auf der staubigen Bergstraße und mache etwa eine Stunde später Pause an einer Kaffeefarm.

Von da aus noch ein bisschen weiter steht ein modernes Luxus-Hostel mit irre gutem Ausblick und obergeiler Hängematte.

Nochmal kurz gechillt, dann weiter. An einer Baustelle vorbei (die Strasse wird endlich gepflastert) und immer weiter hinauf. Ich treffe einen Wanderer auf dem Rückweg, der mir mit seinen Fotos vom Gipfel weitere Vorfreude weckt und erklärt, an welcher Stelle man sich in die Büsche schlagen muss, um an der Gipfel-Militärstation vorbei zu kommen.

Währenddessen fährt dieser Truck an uns vorbei, dem man deutlich ansehen kann, dass die Straßen hier etwas ruppiger sind.

Ein wenig weiter liegt eine tote Schlange auf der Straße, ein sogenannter Hühnerfresser, Spilotes Pullatus.

Ich kämpfe mich weiter den Berg hinauf. Die Straße ist weiter gut, der Ausblick fantastisch.

Es sind schon knappe zehn Kilometer und drei Stunden vergangen, als ich an einem kleinen Kiosk rast mache.

Aber von hier aus sind es angeblich noch 11km bis zum Gipfel-Hostel und der Weg wird steinig. An Fahren ist nur noch sporadisch zu denken, den Rest muss ich schieben. Und ich merke, wie ich zunehmend fertig bin.

Es wird zwar kühler, aber die Luftfeuchtigkeit nimmt zu. Steine, Felsen und Matsch wechseln sich mit kurzen „ok hier kann man wieder kurz radeln“-Abschnitten ab. Und es erschöpft mich zunehmends. 800 Höhenmeter habe ich zurückgelegt, als ich zum ersten Mal zweifle, ob ich das noch schaffe?

Habe ich zu wenig gegessen? Bin ich zu schwach für den Berg? Ist mir das Klima zu heftig? Ich weiss es nicht, aber etwa bei Kilometer fünfzehneinhalb fange ich an, mir Limits zu setzen. Nur noch eine Dreiviertelstunde. Wenn ich dann keinen Ort zum Rasten finde, drehe ich um. Noch hundert, nagut zweihundert Höhenmeter. Ein, zwei, drei Kurven noch. Vielleicht ist dann ja endlich San Lorenzo, der letzte Ort vor dem Gipfel?

Es geht durch den Dschungel, hier ist Vogelschutzreservat. Ich würde gerne genießen, stattdessen krampft mein Oberschenkel. Ich fange unvermittelt an zu weinen. Es ist zu viel. Noch fünf minuten oder zehn? Zumindest auf 2000 meter kommen! Ich will das wirklich, du dummer Berg, ich bezwinge dich!

Erschöpfung weicht Trotz, der hilft aber auch nur wenig, das Rad über die Felsen und durch Bächlein zu schieben. Auf 1967 Metern komme ich an einer Vogel-Observationsstation an. Essen und Übernachten gibt’s hier nur mit Voranmeldung, aber hier kann ich immerhin sitzen. Und breche prompt zusammen. Weinkrampf, Körper will nicht mehr. Das war’s.

Nach einer halben Stunde bin ich immerhin wieder erholt genug, um mir die Handschuhe anzuziehen und gen Tal aufzubrechen. Die netten Menschen von der Station geben mir ihr WLAN-Passwort und ich buche mein Pool-Hostel für eine weitere Nacht. Sieben Stunden sind vergangen seit ich losgezogen bin. Bis zum Gipfel sind’s noch drei. Selbst wenn mein Körper könnte, würde ich nicht garantiert im Hellen ankommen.

Die Abfahrt dauert eine Stunde. Am Ende schmerzen die Muskeln und die Handgelenke. Am Hintern sind zwei geschwollene Stellen vom Sattel.

Den Sonnenuntergang beobachte ich dann von hier aus. Auch nicht hässlich. Und nächstes Mal überschätze ich meine Kräfte nicht so dolle. Versprochen.

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