Medellin: Eine Tour durch Comuna 13

San Javier im Westen Medellins, besser bekannt als „Comuna 13“. Vor etwa 20 Jahren noch absolute Hochburg des Drogenkriegs. Die Gipfel besetzt von FARC-Kämpfern, auf der anderen Seite des Hügels gleichermaßen Zugang zu Dschungel und Meer. Das Viertel selbst bettelarm. 2002 rückte dann die Polizei zusammen mit Paramilitärs an, nahm das Viertel in die Zange, erschoss viele hundert Menschen, darunter viele Zivilist*innen und befriedete das Viertel.
Heute ist Comuna 13 einer der wichtigsten Touristen-Hotspots der Stadt. Die Waffen und Drogen sind Graffiti gefolgt, man hat eine Serie von Rolltreppen in den Berg gebaut und allerhand Verkaufsstände säumen die engen Gassen, um den Touristen während ihrer Touren Souvenirs und Getränke zu verkaufen.
Ich soll um 11 uhr da sein, aber Pablo, mein Tourguide kommt nicht. Stattdessen spricht mich fünf minuten später eine junge Frau mit bunten Haaren und Tattoos an. Sie müsse übernehmen. Melisa ist eigentlich aus Argentinien und auf ihren Reisen in Medellin hängen geblieben und führt nun Touristen durchs Viertel. Ich bin skeptisch. Pablo kommt angeblich aus dem Viertel, Melisa ist von weit weg. Was soll schon besonderes an den Grafitis sein und warum brauch ich dafür eine Tour? Aber eine Amerikanische Touristin hat mich am Vorabend überzeugt.
Wir laufen hinauf und tatsächlich: es ist wundervoll. Was folgt, sind Bilder mit ihren Erklärungen.

Eine Regenbogentreppe den Berg hinauf. Noch relativ neu, schön und wohl im Rahmen der Pride-Week entstanden oder so. (Zumindest mit klarem LGBTQ-Bezug)
Karma. Die Erinnerung dass wir alle nur Menschen aus Fleisch und Blut sind. Die drei Vögel in den Nationalfarben Kolumbiens. dazu der Schlüssel zur Freiheit. (Auch im Kontext der Venezolanischen Flüchtlingskrise und dem aufkommenden Fremdenhass zu verstehen)
Hoffnung.
Mutter mit Baby im traditionellen Tragetuch. Darin auch die Pflanzenvielfalt der Region. (unter anderem der Mais, was die Blumen genau bedeuten habe ich leider vergessen)
Pacha Mama. Mutter Erde. Ozean und Wald. Ein sehr beliebtes Motiv hier im Viertel.
Ebenfalls Pacha Mama. Rechts der Ursprung des Viertels, Berge mit Wald. Links die harte Arbeit um das Viertel zu errichten. Dazwischen: Mutter Erde.
Reminiszenz an die indigene Geschichte des Landes.
Eine Kolumbianische Form des Voodoo. Das Anrufen der Seelen lässt ein Loch in der eigenen Seele. Die Löcher in den Händen als Symbol für die Schusswunden der Bevölkerung.
Der Adler als Symbol für Gesundheit, der sein schützendes Gefieder über die Menschen legt. Auf dem Kopf eine Spraydosenkappe.
Graffiti in einem Ausstellungsraum. Das Haus dient als Graffiti-Schule. Man möchte den Kids hier was beibringen. Das ist auch dringend nötig. Die Menschen sind immer noch arm, die Geburtenraten hoch und die nächste Schule ausserhalb des Viertels. Die Fehler der Vergangenheit könnten sich schnell wiederholen.
In der Graffitischule werden auch Bilder von Schüler*innnen (?) verkauft. Man beachte wie sich das Viertel im Lollipop der oberen Person spiegelt. Derartige Kleinigkeiten finden sich oft in den Bildern hier.
Erinnerung an den 16.10.2002, als die Operation Orion begann. (Weiteres im nächsten Bild)
Der Kolibri als Symbol für die Kampfhubschrauber. Mit diesen flog man tief heran, sorgte mit dem Rotorwind dass die Schützen auf den Dächern nicht operieren konnten. Vom Tal rückte die Polizei an, von der anderen Bergseite fielen Spezialkommandos den Guerilleros in den Rücken. Nach dem ersten Tag waren 80 Menschen tot, nach dem zweiten 250.
Blick von Oben. Demnächst sollen auch die Dächer besprüht werden.
Erinnerung an einen kleinen Jungen, der hier bei einem Sturz starb. Man kam zusammen und baute ihm zu Ehren auch die Rutsche, die leider schon stark in Mitleidenschaft gezogen ist.
Die Bank der Liebenden. Bin aber grad alleine, muss mich also selbst lieben.
Beliebte Bier-Bar. Nur deswegen fotografiert, weil hier eine Szene aus „Narcos“ gedreht wurde.
Blick Bergauf.
Was aussieht wie ein Steinbruch wurde abgetragen, um hunderte versteckter Leichen aus dem Drogenkrieg zu bergen. Auch heute gelten noch hunderte Menschen als „verschwunden“. Vermutlich irgendwo in einem der Dschungelgebiete verscharrt.
Kolumbien. Das L eine verbogene Pistole. „Less Bullets, more Dreams“.
Erklärt sich quasi von selbst
Die Elefanten als Symbol der Erinnerung. Das Viertel vergisst nicht. Die Elefanten aber auch als Säugetier, das weint, wenn ein Mitglied der Herde stirbt. Rechts oben wieder das Viertel und die Sprühdose. Die Symbolik der Savanne ist mir nicht vollständig klar
Blick von weiter weg
Durch enge Gassen wieder hinab.
Der „Dorfplatz“. Hier finden auch schonmal BMX-Meisterschaften und Breakdance-Competitions statt.
Eine Maschinenpistole, deren Patronen durch Spraydosen ersetzt wurden. Symbol für den Wandel des Viertels.
Vor dem Friedhof des Viertels.
Vida. Leben.

Am Ende bleibt ein herzlicher Abschied von Melisa, die einen hervorragenden Job gemacht hat. Und eine Mischung aus „Das war cool und schön und Aufschlussreich“ und „nunja. Das eigene Viertel in eine Kunstausstellung verwandeln ist nun wirklich kein Modell für überall“. Kommt hinzu dass das Viertel alles andere als befreundet mit Comuna 7, den Nachbarn ist. Die sind unglaublich neidisch auf die Aufmerksamkeit, aber auch die finanziellen Zuwendungen. Dennoch ein starkes Symbol für den Wandel der Stadt. Der überwiegende Teil Medellins ist inzwischen Sicher. Keine Spur mehr von den tausenden Morden pro Jahr, von der „Mordhauptstadt der Welt“ in den 90ern. Andererseits wäre auch das nie passiert, hätte man diesen sinnlosen „War on Drugs“ erst gar nicht begonnen und einen anderen Umgang damit gefunden. All diese Ambivalenz zeigt sich auf dieser Tour ganz wunderbar.

Und wer denken möchte, dass das nun halt Graffiti für’s Viertel ist, was denn die Graffiti-Schulen sollen, dass man das ja jetzt auch nicht überbewerten muss dem sei gesagt: Nein. Medellin ist voll von Graffiti. Das ist das Markenzeichen der Stadt. Nirgendwo sonst findet man so viele wirklich schöne pieces. Wie zum Beispiel hier, unter der Metro-Brücke beim Botanischen Garten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.