„Weckt mich einfach auf, wenn irgendwas passiert“.
Ich liege in der Hängematte in Adara. Auf der Nordseite von Atauro, der Insel, die Timor vorgelagert ist.
Hier hin zu kommen war ein mittelgroßes Unterfangen. 7 Uhr aufstehen (nach knappen 6 Stunden Schlaf), auf zum Hafen.
Dieses Mal will ich mit der lokalen Fähre fahren: Nakroma-Berlin. Aus Deutschland gestiftet. Kostet 4 Dollar, im vergleich zu den 18, die man mit dem Schnellboot berappen muss, dauert dafür deutlich länger. Da die Fähre aber pünktlich ablegt, die „Dragon Star Ferry“ aber meistens nicht, ist man dann doch nicht so viel länger unterwegs.
Ich komme am Hafen an, das Boarding hat bereits begonnen. Alle haben Tickets in der Hand, ich laufe mit einem Geldschein durch die Menge. „haha, der Malae hat nur Geld und kein Ticket“, höre ich von einer Timoresin. Tatsächlich: ausgebucht. Ich beeile mich zum Schnellboot und – oh Wunder – das legt dieses Mal pünktlich ab.
Schnell noch reinspringen, los, eine Stunde später bin ich in Beloi, an der Südseite von Atauro, wo ich letztes Mal tauchen und schnorcheln war.
Ich begegne einer Australierin und einem US-Amerikaner, die ebenfalls nach Adara wollen und so machen wir uns, mit einer ausgedruckten Karte auf den Weg.
Es ist heiß. Verdammt heiß. Und der Weg führt direkt den Berg hinauf, ohne ein winziges bisschen Schatten, dafür aber mit netter Aussicht.
Wir kommen an diesem creepy Baum vorbei, bei dem wir nicht komplett sicher sind, was davon Menschenhand und was Natur ist (diese Verfärbungen haben alle Bäume hier).
Normalerweise kann man die Hälfte der Strecke ein Auto nehmen, aber das Auto ist gerade kaputt. Und so geht‘s eben zu fuß.
Zwölfeinhalb Kilometer wird meine Uhr am ende anzeigen, knappe drei Stunden sind wir unterwegs. Ein kleiner Teil im Schatten, dafür wird hier mehr geklettert als gewandert.
Es geht durch Trampelpfade und weniger getrampelte Pfade. Über Zäune,
Berg auf, berg ab,
schließlich 2KM durch halbhohes Gras am Strand entlang,
bis wir schließlich leicht erschöpft und extrem hungrig bei Mario‘s Place ankommen.
Ich bekomme einen Bungalow zugewiesen, aber wenn die Mücken hier nicht wären, würde ich vermutlich die Hängematte wählen, in der ich meine kaputten Füße ausruhe, etwas lese und schließlich auf meinem iPhone den ersten Teil dieses Posts schreibe.
Mobilfunknetz gibt‘s hier keins. Strom nur teilweise, sprich ein Solarpanel sorgt für nächtliche Beleuchtung. Dafür Meer, Strand, Kokospalmen und Korallenriff.
Nach dem Essen (Ei, Gemüse, Reis, Instant-Mie-Nudeln und ein paar gebratene Kartoffeln in Pommesform), versuche ich weiter in der Hängematte zu chillen, aber die Sonne brennt zu heiß.
Mein Begleiterpaar ist in seiner Hütte verschwunden, meine Unterkunft ist hingegen noch nicht fertig, da der bisherige Gast hier noch zu tun hat.
Er arbeitet für ein Riff-Konservations-Projekt, das dafür sorgt, dass die Fischer hier nachhaltig arbeiten.
Wer auch immer hier in bestimmten Zonen taucht oder schnorchelt, zahlt mindestens $1,50 an Spende (im Dive Resort auf der anderen Seite der Insel sind es sogar $2). Das Geld (2017 über $1000) wird dann in den communities verteilt und hilft ihnen, die Riffe nicht leerfischen zu müssen. So wird der wichtige Ökotourismus genauso wie die Biodiversität langfristig erhalten.
Ich entscheide mich, ins Meer zu springen und ein wenig zu schnorcheln. Die Korallen sind hier weniger Dicht als auf der anderen Seite der Insel. Dafür fällt der Grund etwa 50m vom Strand plötzlich Steil ab. Diese Wand, an der eine irre Anzahl an verschiedensten Korallen aber auch Fischen wohnen, geht mehrere tausend Meter in die Tiefe und ist äußerst beeindruckend anzuschauen.
Ich entdecke riesige Fischschwärme mit kleinen Fischen, die von einem Thunfisch herumgetrieben werden. Spezies wie „Lemon Sweetlip“ und many Spotted Sweetlips. Skalare und Nemos.
Leider hält meine Schnorchelmaske nicht so gut, ich vermute weil mein Bart in den letzten Wochen etwas strubbelig gewachsen ist und die Maske nicht so gut abschließt. Auf jeden Fall habe ich öfter Wasser in den Augen und im Mund (es ist so eine Vollgesichtsmaske, die ich mir wegen ihrer GoPro-Halterung gekauft habe) als mir lieb ist und mache mich dann lieber zurück ans Ufer.
Mittlerweile hat sich das Wasser ganz schön zurückgezogen, was mich in Bedrängnis bringt. Ich komme auf dem Rückweg gefährlich nahe an die Korallen heran, das herausziehende Wasser hindert mich am navigieren und ich bin am Ende froh, dass ich mich nicht irgendwo aufschlage oder aufkratze.
Zurück am Bungalow ist immer noch nicht viel passiert. Der vorige Gast ist zwar ausgezogen und es wird geputzt, aber „Eile“ ist hier ein komplettes Fremdwort. Die Hängematte ist leider immer noch nicht zu gebrauchen und so lege ich mich auf einem Holzboden in den Schatten und ruh mich eben dort etwas aus.
Dann bitte ich Leute, mir eine Kokosnuss vom Baum zu holen. Ich kriege zwei, die ich ohne Strohhalm direkt trinke, was die Feuchtigkeit meines T-Shirts ordentlich fördert. Besonders bei der zweiten, die ein kleines Leck hat und überall hinsifft. Nun, ist nur Kokoswasser und den Sand aus allen Ritzen meiner Kleidung und meines Körpers zu bekommen wird morgen abend ein deutlich schwierigeres Thema.
Schließlich creme ich mich nochmal gegen die Sonne ein und laufe beide Richtungen den Strand entlang. Dann fotografiere ich eine Hausbesetzerszene:
Die Flut hat ein paar schöne Schneckenhäuser und Muscheln hinterlassen und eine Gruppe Einsiedlerkrebse (oder ähnliches), macht sich Ameisenhaft daran, die reiche Beute abzutransportieren.
Hier ist nicht viel Los.
Gelegentlich läuft mal wer den Strand hinauf oder hinab. Eine Mutter und ihre drei Kinder zum Beispiel
Oder eine Dame mit einem Holzbündel
Ein paar streunende Hunde, ein Schwein und einige Hühner. Als die Sonne bereits untergegangen ist, gehen ein paar Leute zum Speerfischen los, das kann ich aber mangels Licht nicht mehr fotografieren.
Dafür entdecke ich tags drauf diese schöne Fotoreportage über die „Meerjungfrauen von Adara“ (Link zu Facebook)
Dafür ist der Sonnenuntergang aus dem Bilderbuch,
und so versinkt schließlich ein roter Ball im Meer.
Auch danach: 80er-Jahre-Sonnenstudio-Kitschtapete. Wow.
Der Rest des Abends: Hängematte. Und Sterne fotografieren. Die Lichtverschmutzung ist hier nämlich null komma null.
So der Plan.
Nach dem Abendessen nutze ich das Restlicht, um Fotos zu machen,
dann die Sternenklare Nacht.
Ich laufe den Strand entlang, mache noch mehr Fotos.
Und dann stoße ich auf eine Gruppe von Jungs aus dem Dorf. Der Vater von Mario, dem Besitzer unserer Strandhüttensiedlung ist gestorben, dementsprechend gerade die ganze Familie vor Ort. Marios Bruder, Gomez (jaja hihi, Mario Gomez, wie die Jungs das lustig finden hier. Deutsche Fußballer sind hoch im Kurs), lebt in der Nähe von London, arbeitet in einem Restaurant. Sein Cousin, Nelson, spricht besseres Englisch, studiert in Dili Management. Er will mehr üben, besser englisch lernen. Vielleicht einen Master im Ausland machen. Die Jungs sind alles Freunde und nutzen das Beisammensein für ein Besäufnis. Es wird irgend ein lokales Gesöff serviert. Weisswein mit Ananassaft oder so? Mit Schnaps? Ich verstehe nur halb was das ist, aber probiere es natürlich. Stark, süßlich, sicher nicht mein neuer Lieblingsdrink aber geht schon. Wir trinken aus Kanistern und machen Fotos miteinander.
Plötzlich: Aufregung. Es gibt hier nämlich kein Mobilfunksignal, nur ganz selten, plötzlich ist ein WLAN verfügbar. Es wird gerätselt, bis ich die Leute enttäuschen muss: Es ist meine Spiegelreflexkamera, von der ich auf diese Weise Bilder auf mein Smartphone laden kann.
Wir unterhalten uns über dies und das, ich zeige meine Sternenfotos. Nelson ist super interessiert. Wie ich das wohl mache? Wir gehen hinaus und schießen noch ein paar Langzeitbelichtungsfotos. Ich versuche ihm zu erklären, wie das mit der Belichtung läuft, dass der Sensor lange braucht, bis das Sternenlicht darauf fällt. Einfache Physik, aber Physik hatte er nie in der Schule…
Meine Physikkenntnisse sind zwar ausreichend, aber nicht immer abrufbar. Und so denke ich nicht daran, dass zwei Minuten Belichtungszeit zwar schön viel Licht auf den Sensor bringen, sich aber eben auch die Erde in dieser Zeit so sehr weiter gedreht hat, dass die Sterne mehr als kleine Striche denn als Punkte zu sehen sind.
Ich gehe noch ein wenig weiter, schieße noch ein paar Bilder von der Bucht im Sternenhimmel. Als ich zurückkehre wird gerade Gitarre gespielt. „Oh oh oh timor! Oh oh ha’u-nia rai!“ (Oh oh oh timor, oh oh mein Land!). Danach: „Knocking on Heavens Door“. Ich kriege Szenenapplaus weil ich immerhin eine Strophe inklusive Text singen kann.
Ob ich die Scorpions kenne? Die mag Nelson sehr. Ich erkläre ihm, dass die aus Deutschland sind und wir stimmen „Wind of Change“ an. Dass das Lied in Deutschland heutzutage vor allem als peinlich gilt, verschweige ich ihm. Ich hätte nie gedacht, dass ich dieses Lied jemals aus vollem Halse singen würde, aber nun ist es so weit. Wieder Szenenapplaus und begeistertes Lachen, weil ich nur ganz wenig Na Na Na singe und ein ordentliches Stück echten Text.
Wir haben eine fantastische Zeit zusammen, hier quasi am Ende der Welt. Im Nirgendwo ohne Netz und ohne Strom.
Und angenehmerweise auch ohne Moskitos. Lediglich ein paar Einsiedlerkrebschen krabbeln zwischen unseren Beinen umher, aber gestochen werden wir von nichts. Dann ist der Wein alle, wir gehen nach Hause. Es ist warm, das Meer rauscht. Ich versuche, in der Hängematte einzuschlafen, finde aber keine ausreichend gemütliche Position und schleiche mich kurz nach elf ins Bett.