In drei Wochen Osttimor sammeln sich einige Geschichten an, die in anderen Blogposts keine Verwendung finden oder zwischenzeitlich vergessen wurden. Deshalb ist dies ein kleiner Sammelpost mit Anekdoten, Beobachtungen, Geschichten und Verwundernissen.
- Obwohl die offizielle Religion das Christentum (vor allem Katholizismus) ist, halten sich im Land tiefe animistische Traditionen. Wahrsagerei aus Innereien, Tieropfer zu Feierlichkeiten oder Bäume, an denen Placentas gehängt werden. Letzteres ist ein Ritual, das der Vater des Kindes durchführt. Man verspricht sich damit viel Glück für das Kind. Zudem werden Gegenstände hinzu gegeben, die in Verbindung damit stehen, was man wünscht. Soll das Kind also einmal schlau und gebildet werden, fügt man Bücher und Stifte hinzu.
- Die Landessprache in Timor ist Tetum. Tetum ist eine austronesische Sprache, hat sich aber sehr viele portugiesische Lehnwörter eingeheimst. So sagt man zum Beispiel für „vielen Dank“ (je nach Adressat/in) Obrigadu/Obrigada Barak. Obrigadu/a kommt aus dem Portugiesischen (ist dort aber lustigerweise umgekehrt, sprich das Geschlecht des Wortes hängt von der sprechenden Person und nicht von der adressierten ab), Barak bedeutet „Viel“.
- In Tetum heisst „Malae“ fremd/fremder. Alle Ausländer*innen sind Malae (und wenn man ausserhalb des Stadtzentrums von Dili ist, wo Malaes extrem häufig vorkommen, gilt man gerade unter Kindern als Sensation. Aber Menschen sind nicht alles, was Malae ist. Schafe zum Beispiel heissen „Bibi-Malae“, was so viel wie „Fremde Ziege“ bedeutet. Kühe sind Karau-Malae, also fremde Büffel.
- Ich habe es tatsächlich geschafft, Postkarten nach Hause zu schicken. Ob sie jemals ankommen ist ungewiss. Timor hat kein Postsystem und bis vor kurzem auch keine Straßennamen. Hausnummern sowieso nicht. Das ist insofern besonders schwierig, weil Einladungen zu Meetings in bestimmten Kreisen nicht per Mail angenommen werden. Also gibt es vermutlich zu jedem Zeitpunkt des Tages 50-100 Fahrer, die ausgedruckte, unterschriebene Meeting-Einladungen durch die Stadt karren, von Ministerium zu Ministerium oder zu NGOs etc. Ein Bekannter erzählte mir, er habe mal ein Paket aus dem Ausland erhalten. Da es ja keine Adressen gibt, kam es nicht bei ihm an, sondern bei einem Ministerium. Dort lag es 3 Wochen lang rum, bis ein Mitarbeiter das Paket entdeckte und sah „oh, den Adressaten kenn ich, dem sage ich mal bescheid“
- Timor-Leste ist unfassbar teuer. Und ich meine nicht mal „teuer im Vergleich zu Südostasien“, sondern generell. Das Problem ist, dass mit der Mission der UN nach der Unabhängigkeit astronomische Preiss erzielt werden konnten und einige Timoresen unglaublich reich geworden sind. Das hat nur die Ungleichheit im Land erhöht, aber dadurch dass Mieten in Dili astronomisch sind (ein Häuschen nach westlichem Standard in einer gated community kostet zwischen 3000 und 5000 Dollar im Monat aber auch schon zum Beispiel mein Apartment, 40qm mit eher mäßigen sanitären Einrichtungen und ohne Fenster wären 750 im Monat gewesen), ist alles andere genauso teuer. Ein Nasi Goreng im indonesischen Warung schlägt mit 3 Dollar zu buche, was mehr als drei Mal so teuer ist wie in Indonesien. Eine Pizza in einem westlichen Restaurant: 15 Dollar. Jetzt würde ich mich grundsätzlich nicht beschweren, wenn das Geld dem Lande zugute käme, aber profitieren tun eben nur einige Besitzer, die das Geld dann auch schnell genug ausser Landes schaffen. Ein Lehrer verdient in Timor-Leste 250 Dollar im Monat, eine Haushälterin ca 150.
- Der Nationalstolz hier ist anders als jeder andere, den ich bisher gesehen habe. Er ist von einem Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit geprägt, nicht von einer Abgrenzung oder einem „besser sein“ gegenüber anderen. Nach dem versuchten Genozid von 1999 ist man froh, sein Land aufbauen zu können und trägt das mit Stolz vor sich her.
- Der öffentliche Verkehr läuft vor allen mit Kleinbussen, sogenannten Mikrolets. Wer übers Land fährt findet ab und zu auch einen größeren Bus oder stellt sich hinten auf eine LKW-Ladefläche. Die Busse sind abenteuerlich bemalt. Oft mit Krokodilen (dem Nationalsymbol) oder mit religiöser Symbolik. Vorne drauf steht oft in 90er-Jahre-Farbverlauf-Schillerschrift der Name des Fahrers. Oder sein Spitzname. Mr. Black, Maun Jose, etc.
Ich habe aber auch einen Bus gesehen (leider nicht fotografiert), auf dem stand in großen Lettern BATMAN. Darunter ein blauer Davidstern auf weißem Grund. - Am Strand von Dili laufen Fischverkäufer rum. Ich musste gleich mehreren Tourist*innen eindringlich davon abraten, den Fisch zu verkaufen, weil dieser nämlich, um länger frisch auszusehen, mit Formaldehyd behandelt wird.
- Wer Dili gesehen hat, der versteht, warum dieses Plakat vermutlich das prätenziöseste Ding der Welt ist. Es zeigt einen modernen westlichen Bürokomplex mit Flaniermeile davor und Shops von Louis Vuitton, Armani, D&G und Chanel im Erdgeschoss. Eventuell wird ja ein neues Bürogebäude gebaut, aber von diesen Shops ist Timor-Leste nun wahrlich Lichtjahre entfernt.
- In Timor-Leste ist die Versorgung mit Dingen immer so ein bisschen Abhängig von der Saison. Sodawasser (also Sprudel, von Schweppes) gibt es zum Beispiel gerade nur noch in zwei mir bekannten Supermärkten, als ich ankam waren es noch vier. In der Dili Expats-Facebook-Gruppe gab es einen langen Thread darüber, wo man denn gerade Butter bekommen kann. Und so weiter. Für locals ohnehin unerreichbar aber selbst die Expat-Szene (ca 3000-5000 Leute im Land) hat manchmal so ihre Nachschubschwierigkeiten.
- In Dili alleine gibt es 134 Krokodile, die in Hinterhöfen gehalten werden. (Quelle: Ein Survey, der vor einigen Jahren mal gemacht wurde)
- Drei dieser Krokodile sind auf dem Gelände der Nationalpolizei untergebracht. Wenn man mit einem Hühnchen (gerne auch gefroren) ankommt, kann man eines davon füttern. Das haben wir gemacht. Diese Krokodile bekommen etwa 20 Hühnchen am Tag und lungern ansonsten in kleinen Pools herum. Das fühlt zwar wie Tierquälerei an, aber auch in der Natur haben Krokodile sehr wenig Bewegungsradius und gerade die großen Tiere bleiben am liebesten an einer Stelle. Mir wurde erklärt, das sei also vermutlich nicht soo schlimm wie man erst denken würde.
- Die Malaes die lange genug da sind, haben allesamt Horrorgeschichten von der Zeit nach dem versuchten Genozid durch die Indonesier zu erzählen. (Die alten Timoresen bestimmt auch aber mit denen habe ich mich leider nicht so viel unterhalten können, schon gar nicht über diese Themen). Solche „Kleinigkeiten“ wie „Ja in dem Hinterhof da drüben haben wir im Brunnen 15 Leichen gefunden“. Das Hotel in dem ich anfangs war, war wohl zu Besatzungszeiten auch ein Folter-Ort. Als es nach der Unabhängigkeit übernommen wurde, waren die Abwasserrohre verstopft. Der hinzugerufene australische Klempner fand haufenweise Beweise für Folter und Mord. Zudem fand man riesige Mengen Methamphetamin, was man wohl den Milizenkämpfern gegeben hatte.
- Eine andere Geschichte die ich hörte, ist dass jemand Xanana Guzmao, den Rebellenführer, fragte was er denn dazu sage, dass die indonesischen Milizen alle straflos davon gekommen sei, und es eine Aussöhnungspolitik ohne Schuldzuweisungen und Konsequenzen für Menschenrechtsverbrechen gegeben habe? Seine Antwort war simpel: „Du warst noch nie im Krieg. Niemand ist unschuldig.“
- Wenn man hier zur richtigen Jahreszeit (Juli-Oktober) hier auf Whalewatching-Touren mitfährt hat man eine gute Chance, Blauwale zu sehen. Ja, fucking Blauwale.
- Das ganze Land ist nur per Richtfunk und Satellit ans Internet angebunden. Internet hier ist sauteuer und unglaublich langsam. Eine Glasfaser liegt schon quasi an der Landesgrenze und es gibt seit Jahren Pläne, Unterseekabel nach Australien zu verlegen. Woran es scheitert weiss niemand so genau, aber es muss wohl einige Menschen geben, die dieses System sehr sehr reich macht. So hörte ich, dass die Regierung etwa 1 Mio Dollar ausgibt, um in den Ministerien und Institutionen Internet zu haben. Da es hier aber keine Regulierung gibt, wird das Netz dort benutzt, um Youtube zu gucken und auf Facebook zu browsen, so dass es so langsam ist, dass jede Abteilung im Ministerium sich per Mobilfunk nochmal extra Internet holt. Die kosten dafür? Angeblich 42 Mio Dollar im Jahr. Vermutlich bekommen die entsprechenden hochrangigen Regierungsoffiziellen von den Telekommunikationskonzernen entsprechende Dankeschöns, und so kann das mit der Faser auch noch eine ganze Zeit warten.
- Der Grund warum ich in Timor war, ist ja dass wir dort zusammen mit Partnern ein digitales Bezahlsystem einführen wollen. Das ist auch dringend nötig, denn das derzeitige Bankensystem ist eine Katastrophe. Hier ist die Schlange zum Geldabheben an der Zentrale der Banco National Commercial de Timor-Leste an keinem besonderen Tag. Ein typischer Lehrer im Hinterland nimmt sich einen Tag im Monat frei, fährt/läuft drei Stunden zur Bank, steht dort 2-3 Stunden an und fährt wieder heim, nur um sein Gehalt abzuholen.
- Baugerüste sind hier zum Teil aus Bambus. Angesichts der Möglichkeiten jetzt nicht unfassbar überraschend, sieht aber interessant aus.